Das Spiel mit der Angst oder die guten Angebote des Schweinekapitalismus
Von Volkmar Schlutter
Es war soweit oder eines Tages musste es ja so kommen: Das Jobcenter verdonnerte mich zum Vorstellungsgespräch in ein Callcenter. Ich sage es vorneweg: Man braucht nicht wochenlang und getarnt wie Günter Wallraff dort zu arbeiten, um festzustellen wie skrupellos und menschenverachtend in solchen Firmen mit Menschen umgegangen wird. Allein so ein Vorstellungsgespräch offenbart einem das harte und entwürdigende Geschäft im Billiglohnsektor. Schon das telefonische Vorgespräch gab mir einen Vorgeschmack, was für ein Ton hier herrscht: Dreist, barsch und kurz angebunden wurde mir geschickt Persönliches entlockt. Als ich eine Sache durch Wiederholung betonen wollte, herrschte mich das Gegenüber am anderen Ende der Leitung in rauem Ton an: Das sagten sie bereits!

Gut, ich wollte fair sein: Ich kam zum Vorstellungstermin im Anzug, frisch rasiert und pünktlich, sogar eine viertel Stunde vor der Zeit. Und mit guter Laune. Ich fuhr mit dem Fahrstuhl in den 4. Stock und klingelte an der Eingangstür. Es regte sich nichts. Währenddessen kamen aber immer wieder Leute, recht gehetzt, hielten ihren Daumen an einen Scanner, der neben der Tür angebracht war, und huschten hinein, ohne mich Wartenden eines Blickes zu würdigen. Nach 10 Minuten, schließlich wurde es 13 Uhr, mein Termin, huschte ich hinter einem dieser eifrig Eilenden hinein – und war endlich drin. Der Empfangstresen war nicht besetzt. Schon dachte ich: müssen die aber zu tun haben, ja sie suchen Leute. Irgendwann bald kam aber eine junge Frau, begrüßte mich und ich konnte mich anmelden. Sie bat mich zu warten. Ich wartete. Mein erster Eindruck soweit ich in die große Bürohalle schauen konnte und wer alles so an mir vorbeiging: Keiner lächelte und ein Drittel von ihnen war tätowiert. Das ging schon mal gruselig los.
Dann kam ein Jüngelchen von höchsten 26 Jahren und führte mich in einen großen gläsernen Raum, schloss hinter uns die Tür, und bat mich Platz zu nehmen. Dabei stellte er es mir frei, auf der Bank oder in einem Sessel, sah mich aber, während ich mich zwischen der bequem ausschauenden Bank und dem thronenden Sessel nicht gleich entscheiden konnte, gespannt an. In meinem Kopf hämmerte es sogleich: Das ist ein Test, da wo ich mich hinsetzen werde, wird er es zugleich interpretieren und damit meine Person analysieren. Er stellte sich als Mitarbeiter der Personalabteilung vor, womöglich war es der Personalchef selbst. Und ich, der alte Zausel mit 53 Jahren, saß ihm gegenüber und musste mir zuallererst die Firmendarstellung anhören, die er herunterrasselte. Eine eigenartige Mischung von Firmenvertretungen in den verschiedensten Ländern und ein permanenter Umzug ließ mich stutzen. Firmengründung war wohl hier und da, aber dann zog man nach Bratislava, weiter nach Zürich, weiter nach Paris, um dann wieder in Bratislava zu landen. Also es war eine seltsame Aufreihung von Städten. Irgendwo hat man ja auch ein Gespür für Seriosität. Das war es jedenfalls nicht.
Er quasselte und quasselte, dann fragte er mich, was ich von all dem halte. Ich parierte freundlich. Ich monierte lediglich den niedrigen Stundenlohn von 7, 50 Euro und das erforderliche polizeiliche Führungszeugnis, falls wir zusammenkommen sollten. „Das darf aber nicht älter als 3 Wochen sein, bekommen sie im Bürgeramt, machen sie sich auf lange Wartezeiten gefasst. Kostet 16 Euro, müssen sie selbst tragen“, schnarrte er. Ich hatte nichts zu befürchten, meinte aber, dass ein polizeiliches Führungszeugnis für die Arbeit in einem Callcenter etwas übertrieben sei. „Nein, nein, wir haben es hier mit hochsensiblen Daten zu tun“. Wichtigmacher, dachte ich mir.
Danach führte mich das Jüngelchen durch die Räume. Das Callcenter übernahm die Hotlines von den verschiedensten Auftraggebern. Da saß die Betreuung für die Fans eines Fußballclubs neben der Autoversicherung, neben der Hotline eines Fernsehsenders. Alle an jeweils zusammen geschobenen Tischen ohne Trennwände. Ich monierte wie man denn da arbeiten könne. „Da machen sie sich mal keine Sorgen, sie werden den ganzen Tag ein Headset tragen“, bellte das Jüngelchen. Hatte man kein Anruf zu beantworten, hatte man Mails zu schreiben. Berge von Mailanfragen lagen auf Halde. Das Motto hier war offensichtlich: Wenig Beschäftigte für viel Arbeit, für ganz viel Arbeit und wenig Lohn. „Und wenn sie ihren Arbeitsplatz mal verlassen wollen, müssen sie auschecken. 5 Minuten pro Stunde gibt’s fürs Klo. Mir gruselte es erneut.
Gleich im ersten Büro machte er halt, wies mich an einen Arbeitsplatz und meinte einen kleinen Test zu machen: Ich sollte auf eine fiktive Anfrage per Mail antworten. In der Testmail beschwerte sich ein Kunde bei seinem Bezahlfernsehsender, dass überhaupt nichts klappte. Er hatte weder Empfang, obwohl ihm die Rechnung abgebucht wurde, noch wurde seine Beschwerde beantwortet. Das Jüngelchen war über meine freundliche und erfinderische Antwort (ich tröstete den verärgerten Kunden mit Erstattung seiner Telefonkosten zur Endlosschleife der Hotline) überrascht. Er führte mich weiter, bald hätte ich gesagt durchs Lager. Wir kamen in die Garderobe. Jacken hingen auf Kleiderbügel an Stangen. Ist ja lustig, sieht ja aus wie im Kleidergeschäft, sagte ich. Da bellte das Jüngelchen: „Keine persönlichen Sachen am Arbeitsplatz, keine Jacken, keine Handys, nix zu essen – überhaupt nix. Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht“. Er wies auf die große Überwachungskamera zwischen den Kleiderstangen, die mich an das große Bullauge des allmächtigen Computers aus Kubricks „Odyssee 2001″ erinnerte. „Und hier kommt nix weg!“ Tatsächlich ein Lager – ein Arbeitslager!
Des Jüngelchens Stolz war anscheinend die Küche. Er pries die Mikrowelle, wo gerade einer der Mitarbeiter seine wohl am Abend zu Hause vorbereiteten Kühlschranknudeln dampfend herausnahm. Gut riechen ist etwas anderes. „Es ist immer Kaffee da und frisches Obst“, und er zeigte auf eine große Schale grüner Äpfel.

grasgrüner Apfel (Bild: Piccolo Namek)

grasgrüner Apfel (Bild: Piccolo Namek)

„Sie können sich nehmen so viel sie wollen“. Es waren diese grasgrünen Äpfel, die so giftig aussehen, dass ich im Supermarkt immer einen großen Bogen mache.  Und der viele Kaffee macht ja sowieso krank: Gott, dachte ich, lass mich jah nicht an diesen Trog.

So sehen also die heutigen Arbeitsmöglichkeiten aus: Entweder ist man selbstständig, leistet sich keinen Urlaub, ist sozial nicht voll versichert. Oder man macht diese schlecht bezahlte, meist miese Arbeit bei einem Unternehmen des Billiglohnsektors. Denn andere Arbeit ist beim Jobcenter nicht mehr zu bekommen. Wir haben heute eine gefährliche Mischung aus Kapitalismus, Kontrolle und Pseudodemokratie. Alles in allem: Ein krankmachendes System.
Eine Woche später kam ein Anruf vom Jüngelchen. Er fragte, wie es mir denn so gehe. Ich dachte, was soll der Quatsch, nur Geschwafel. Nach seinen Floskeln fragte ich ihn, war er denn wolle. Ja, man hätte großes Interesse an mir, aber vorerst kein entsprechendes Projekt für mich. Er wolle mich aber gerne im Pool haben, also gewissermaßen als potentiellen Sklaven. Ich danke dem Herrgott, dass ich seit Monaten nie wieder etwas von ihm gehört habe.

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