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Berlin, 2.8.2012
von Ansgar Bach

Jüngst – am 30.7. im Handelsblatt – hat der Euro-Skeptiker Hans-Olaf Henkel darauf hingewiesen, dass die Einführung des Euro gewissermaßen eine französische Bedingung zur Zustimmung Frankreichs zur deutschen Wiedervereinigung gewesen sei. Angesichts der nun völlig aus dem Ruder laufenden Euro-Krise fordert Henkel schon im Titel: Frankreich-Deutschland: Scheidung nötig!

Aber wie war das eigentlich mit der Bedingung als Zustimmung zur Wiedervereinigung?
Tatsächlich ist nicht nur die Einführung des Euros sondern das gesamte Bestreben nach europäischer Supranationalität ein Resultat der Angst Frankreichs, Englands und anderer europäischer Staaten (nicht der USA, nicht der Sowjetunion) vor einer Wiedervereinigung Deutschlands, wie sie sich nach dem Fall der Mauer am 9. November 1989 schnell ankündigte. Insbesondere Thatchers England und Mitterands Frankreich sahen sich von einem erstarkten Deutschland, das Europa ökonomisch wie politisch dominieren würde, bedroht.
Wenn man sich heute an die Zeit zurückerinnert, so kämpften nicht nur Frankreich und England hoffnungslos gegen die unaufhaltbare Wiedervereinigung, auch innerhalb Deutschlands wandten sich in der BRD die Mehrheit der Grünen, der linke Flügel der SPD sowie eine Reihe von Künstlern und Kulturschaffenden reflexartig gegen eine Wiedervereinigung, und in der DDR propagierten viele Gegner der Wiedervereinigung den sogenannten „Dritten Weg“. Gemeinsam erschien Ihnen die Angst vor dem erneuten Entstehen eines nationalistischen Deutschlands als Gefahr für die Welt. Und gemeinsam mit Mitterand hielten sie sich lieber an die Worte des Schriftstellers François MauriacJ’aime tellement l’Allemagne que je préfère qu’il y en ait deux.*
Doch die Gesetze der Ökonomie und der Wunsch der Mehrheit der Bevölkerung drangen auf die dann im Oktober 1990 erfolgte Wiedervereinigung.
Kanzler Kohl hat die Welt bereits Ende November 1989 mit seinem 10-Punkte-Plan – ein zu so frühem Zeitpunkt völlig unerwarteter Schachzug – überrascht. Die Angst Frankreichs und anderer Staaten hat er sofort zu spüren bekommen (Mitterand ehrte bald darauf die DDR zu ihrem Erstarken mit seinem Besuch, Thatcher wandte sich geradezu hasserfüllt gegen eine mögliche Wiedervereinigung).
Mit einer Wiedervereinigung standen folgende Möglichkeiten im Raum: Entweder ein deutsches Europa (= Bedrohung) oder ein europäisches Deutschland. Somit verschönerte Kohl die angestrebte Wiedervereinigung als Beruhigungspille mit der Idee, ein wiedervereinigtes Deutschland würde bald eingebettet sein in ein vereinigtes Europa (auch mit Aussicht auf eine gemeinsame Währung). Im Grunde hatte Kohl – und nicht nur er – auch daran geglaubt. So etwas hatte Mitterand erwartet, ja wohl auch als Bedingung gefordert, und damit schien Mitterrand besänftigt und Thatcher überstimmt (zumal die USA der wichtigste Unterstützer der Wiedervereinigung war und auch Gorbatschows Zustimmung vorlag).
Die endgültige Einführung des Euros – ohne England – geschah dann 2002, also 12 Jahre später.  Doch selbst danach blieb Deutschland bis heute ökonomisch dominierend, weiter zum Ärger Frankreichs, dessen Wettbewerbskraft schwächelt.
Das Problem der EuroKrise ist bekannt: Länder mit stark unterschiedlicher Wirtschaftskraft und auch unterschiedlichem Ökonomieverständnis gehören nicht unter eine Währungshaube.  Deshalb haben Henkel und viele Ökonomen natürlich völlig recht mit der Forderung nach Scheidung aus der gemeinsamen Währung.
Zurück im Jahr 1990: Im Donnelly-Report vom Juli 1990 für das Europäische Parlament zu den Auswirkungen einer deutschen Wiedervereinigung auf die Europäische Gemeinschaft heißt es:
German Economic and Monetary Union [GEMU] is now becoming reality. […] In one important aspect GEMU will represent an interesting prototype for the Community, in that full German Monetary Union is being achieved at a time when there are still enormous disparities in structure and performance between the economies of the two Germanies. It will give an opportunity of assessing the impacts of a monetary union preceding convergence in economic results.
At Euroean level, however, Economic and Monetary Union can only work if it is accompanied by moves to strengthen economic and social cohesion at Community level.
[1]
Dies ist ein wirklich interessanter Fund darüber, wie früh schon der Gedanke an eine Währungsunion (Monetary Union) öffentlich behandelt wurde, und wie die Einführung der D-Mark im Gebiet der DDR gewissermaßen als „interessanter Prototyp“ für Europa gesehen wurde, um zu erfahren, wie die Auswirkungen einer Währungsunion bei Staaten so unterschiedlicher Wirtschaftskraft sind. Für Europa wird allerdings noch der sinnvolle Schluss gezogen, dass eine europäische Währungsunion nur bei starker Vereinheitlichung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse gelingen könnte. Letzeres wurde bis heute nicht erreicht, trotz und wegen des Euros.

Um sich hier schlauer zu machen, speziell auch zu den Bedingungen der Einbettung eines wiedervereinigten Deutschlands in Europa sei ein sehr guter Übersichtsartikel in den Baltic Worlds von Prof. Karl Magnus Johansson von der schwedischen Universität Södertörn empfohlen: A Process of no return. Responses within the European Community to the fall of the Berlin Wall and the prospect of German Reunification.

Ich denke, letztlich ist der Euro weniger eine echte Bedingung Mitterands für die gar nicht aufhaltbare Wiedervereinigung gewesen, zumal das Einhalten dieser Bedingung kaum zu kontrollieren war, eine Wiedervereinigung eh nicht rückgängig gemacht werden konnte und Kohl selbst bereits in seinem 10-Punkte-Plan die europäische Einbettung vorsah. Allerdings ist der Euro gewissermaßen ein Resultat der Wiedervereinigung, bzw. ohne die Wiedervereinigung hätte sich Westdeutschland und seine Bundesbank niemals darauf eingelassen. Und anstatt Europa vor einem dominierenden Deutschland zu beruhigen, ist nun genau das Gegenteil eingetreten: die Eurokrise verschärft einen Wirtschaftskrieg zwischen Deutschland und Frankreich plus Club-Med. Ja, der Euro zerstört gerade die europäische Idee.

* Übersetzung: Ich liebe Deutschland so sehr, dass ich bevorzuge wenn es zwei davon gibt.

[1] Donnelly-Report für das Europäisches Parlament, Juli 1990, Dokument A3-183/90/Part B
siehe auch im Netz unter: europarl.europa.eu/pdf/cardoc/23369_CARDOC_Reunification_EN_WEB.pdf

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