Archiv für das Tag 'Anton Tschechow'

Eine chemisch-literarische Erinnerung an Primo Levi (31.7.1919 – 11.4.1987)

von Ansgar Bach

Ein anderer großer Schriftsteller, nämlich der Mediziner Anton Tschechow, schrieb einmal: „Für Chemiker gibt es auf der Erde nichts Unreines. Der Schriftsteller muss genauso objektiv sein wie der Chemiker; er muss sich freimachen von der Subjektivität seines Alltages und wissen, dass die Misthaufen in der Landschaft eine sehr beachtliche Rolle spielen, und dass böse Leidenschaften dem Leben ebenso eigen sind wie gute“. * – Tschechows Worte treffen genau in die Gedankenwelt des Schriftstellers Primo Levi.

Primo Levi war Chemiker, Schriftsteller und Überlebender von Auschwitz. Sein Buch Das periodische System ist eine außergewöhnliche Autobiografie. Sie scheint unter dem Motto „Chemie küsst Literatur“ geschrieben worden zu sein, wobei das Periodensystem der Elemente in einzigartiger Weise der Ordnung der Erzählung eines an Brüchen reichen Lebens dient:

Im 3. Kapitel, Zink, nähert sich der ungemein schüchterne Chemiestudent Primo im Labor einer Kommilitonin: „Ich trat zu ihr und bemerkte mit einem Anflug von Freude, dass sie die gleiche Suppe kochte wie ich […]“. Gekocht, d.h. hergestellt, wurde Zinksulfat und „zwischen Rita und mir gab es in dem Augenblick eine Brücke, ein Brücklein aus Zink, schmal aber begehbar; los, tu den ersten Schritt“. Während er um sie „herumschwirrte“ entdeckt er in ihrer Kitteltasche sein „Leib-und-Magen-Buch“: Der Zauberberg von Thomas Mann. Zwischen den beiden Studenten wird es allerdings nicht so aufregend zugehen, wie zwischen den Romanprotagonisten Hans Castorp und Madame Chauchat, vielleicht auch daher, weil Rita „diesen Roman ganz anders las“.

Als von Levi bewusst eingesetztes Bild verweist das Zink auf eine weitergehende Betrachtung: Zinksulfat entsteht durch Reaktion von Zink mit Schwefelsäure, doch wenn Zink „sehr rein ist: dann widersetzt es sich hartnäckig jeder Verbindung“. Und Levi fährt fort: „Man konnte daraus zwei einander widersprechende philosophische Schlussfolgerungen ziehen: das Reine preisen, das wie ein Schild vor dem Bösen schützt; oder das Unreine preisen, das den Weg freigibt zu Veränderungen und damit zum Leben. Ich verwarf die erste, widerwärtig moralische und verweilte bei der Betrachtung der zweiten, die mir näher lag“.  Chemisch behilft man sich mit Kupfersulfatlösung als notwendige Verunreinigung: „tu einen Tropfen davon an deine Schwefelsäure und sieh, wie die Reaktion beginnt: das Zink wird rege, bedeckt sich mit einem weißen Mantel aus Wasserstoffbläschen, da haben wir’s, der Zauber ist vollbracht […]“.

Den ganzen Beitrag lesen »